Voith Sonthofen:
Eine mutige Belegschaft streikt während der Pandemie

Kampfstark trotz Corona

Seit dem 23. April sind die Kolleginnen und Kollegen von Voith Sonthofen im Streik. Nur die Streikposten bewachen das Werk. Bis jetzt gab es keine Versuche, den Streik zu brechen. Die 100-prozentige Teilnahme bei der Urabstimmung und die 98-prozentige Streikbefürwortung sind eine gute Basis für diesen Streik in diesen ungewöhnlichen Zeiten. Wegen Corona wird es keine großen Demos oder Kundgebungen geben.

In den letzten Monaten hatte die Belegschaft bereits einiges auf die Beine gestellt: Kurz nach der von der Voith-Geschäftsleitung verkündeten Werksschließung Mitte Oktober 2019, von der über 500 Kolleginnen und Kollegenbetroffen sind, gab es eine spontane Versammlung vor dem Werkstor mit der gesamten Belegschaft, die damit ihre Wut über die nicht nachvollziehbare Entscheidung der Konzernleitung zum Ausdruck brachte. "Wenn eine Konzernzentrale meint, die Schließung geht hier still und leise vonstatten, dann haben sich die Herrn Konzernlenker getäuscht. Wir sind stolz darauf, mit euch gemeinsam für den Erhalt unserer Arbeitsplätze und des Standortes in Sonthofen zu kämpfen", betonten Carlos Gil, 2. Bevollmächtigter der IG-Metall Allgäu, und die Betriebsratsvorsitzende Birgit Dolde unter dem Beifall der Beschäftigten. Und diesem Kurs sind sie seit über einem halben Jahr mit weiteren Aktionen treu geblieben.

So protestieren Ende November über 1.000 Kolleginnen und Kollegen und ihre Familien vor die Voith-Konzernzentrale in Heidenheim gegen die Schließung. Anfang März führte fast die komplette Belegschaft einen Warnstreik durch und ging anschließend nach Hause. Und seit 23. April steht nun das gesamte Werk still.

Die Kolleginnen und Kollegen zeigen mit ihren kreativen Aktionen, dass sie auch unter den Bedingungen der Pandemie nicht machtlos sind. Als sich letzten Freitag wie ein Lauffeuer das Gerücht verbreitete, dass es von der Geschäftsführung Pläne geben soll, Material aus dem Werk abzutransportieren, kamen hunderte Kolleginnen und Kollegen mit ihren Fahrzeugen angefahren, um das Spektakel zu beobachten. Leider ergab sich daraus ein "Corona-Knödel" direkt vor der Werkszufahrt. Die Autos standen so chaotisch, dass am Haupttor kein Durchkommen mehr war. Es wurden 125 Autos vor der Zufahrt gezählt. Die Streikleitung vor Ort nahm den "Knödel" belustigt zur Kenntnis. Als die Geschäftsführung ihnen ein Schreiben überreichte, in dem sie um Auflösung des Corona-Knödels bat, kam die Streikleitung dem natürlich "unverzüglich" nach. Aber: Die Autoschlüssel waren alle in einer Box gelandet und da erwies sich das Ausparken doch als schwierig - und verzögerte sich um einige Stunden.

Voith ist in Sonthofen (ca. 21.000 Einwohner) der größte Arbeitgeber. Auch die Sonthofener waren über diesen Beschluss fassungslos, hat dies doch Auswirkungen auf ganz Sonthofen, wenn über 500 Familien von der Schließung betroffen sind. Der Maschinen- und Anlagenbauer Voith stellt in dem Werk Turbogetriebe, Membrankupplungen und Rotordrehvorrichtungen her. Die Produktion ist rentabel, der Standort fährt gute Gewinne ein, die Umsätze sind steigend, der Auftragseingang ebenso. Die Schließung des Werkes auf dem Gelände des ehemaligen Hüttenwerks würde das Ende von 400 Jahren Industrietradition bedeuten. Die Geschäftsleitung nennt als Grund der Schließung "strukturelle Anpassungen". Sie wollen auf weniger und stattdessen leistungsstärkere Standorte setzen. Also ein typischer Konzentrationsprozess, wie ihn viele Konzerne zurzeit fahren, verspricht er doch noch höhere Profite.

Dieser mutige Streik sollte ein beispielgebendes Signal an die gesamte IG Metall sein, den breiten Angriffen auf Arbeitsplätze, Werksschließungen und Arbeitsbedingungen wirksam entgegen zu treten.

UZ vom 8. Mai 2020

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